oder: Through the Drinking-Glass
Das Wetter am Wochenende verlangte nach Indoor-Aktivität, und ich bekam Lust, etwas zu backen. Es war wohl der Verbindung von „White Rabbit“ im Radio und meinem Faible für englischen Afternoon Tea geschuldet, dass ich mich für Scones entschied und – aus Mangel an Märzhasen und Hutmachern im Bekanntenkreis – meine Freundinnen zur Nichtgeburtstags-Teeparty einlud. Humpty Dumpty strich ich von der Gästeliste direkt aufs Brot, denn zum Afternoon Tea gehören neben Scones auch Sandwiches. Für einen stilgerechten Ausklang besorgte ich Sherry.
Sherry gehört zu den aufgespriteten Weinen, bzw. Likörweinen. Das bedeutet, dass der Wein mit Alkohol verstärkt wird. Sherry wird bei uns in Deutschland kaum getrunken und hat das Image eines Oma-Getränks. Völlig zu Unrecht, denn ich finde Sherry unheimlich spannend und vielfältig. Mal sehen, ob ich meine Gäste dafür begeistern kann. Zum „Einsteigen“ wähle ich Cream Sherry, weil er süßer und deshalb gefälliger ist.
Die Flüssigkeit in unseren Gläsern glänzt wie poliertes Mahagoni. Wir schauen, schnuppern, probieren und sind plötzlich klein genug, die dickflüssigen aber feingliedrigen Kirchenfenster wie Tore zu durchschreiten. Dahinter empfängt uns ein geheimnisvolles, intensives Aroma nach Walnuss, Karamellbonbons und kandierten Orangen. Wie lange wir in diesem synästhetischen Widerhall lieblicher Frucht- und Nussnoten schwelgen, entzieht sich unserem Zeitgefühl.
Wie entsteht Sherry?
Es gibt unterschiedliche Sherry-Stile, aber sie alle haben die gleiche Herkunft: Andalusien. Der Name „Sherry“ entstand durch die englische Aussprache der Stadt Jerez de la Frontera. Jerez bildet zusammen mit Sanlúcar de Barrameda und Puerto de Santa María die Eckpunkte der D.O. Jerez. Nur in diesem Gebiet, dem sogenanten „Sherry-Dreieck“, darf Sherry produziert werden.
Es sind drei Rebsorten für Sherry zugelassen: Palomino, Moscatel und Pedro Ximénez. Von der dunklen Farbe mancher Sherries lasse man sich nicht täuschen: Die Rebsorten sind weiß. Die Farbe entsteht durch Oxidation und Reifung der Weine.
Tweedledum & Tweedledee Fino und Oloroso sind die zwei Grundtypen. Beide entstehen aus dem gleichen Grundwein, der trocken und geschmacklich relativ neutral ist. Dieser „fertige“ Grundwein wird in Fässer gegeben, die jedoch nicht ganz gefüllt werden. So kann sich eine Hefeschicht (Flor) bilden, die sich auf den Wein legt. Nachdem der Flor sich gebildet hat, wird aufgespritet. Hier erfolgt also die Entscheidung, welcher Sherry-Typ aus dem jeweiligen Wein erzeugt wird:
Fino / Manzanilla: Die Flor-Schicht soll auf dem Wein bleiben. Da die Hefen ab 15,5% absterben, wird dieser Wein nur auf 15% vol. angereichert. Die Hefeschicht schützt ihn vor Sauerstoff. Deshalb sind diese Sherries hell und ohne Oxidationsnoten in der Aromatik. Sie schmecken frisch nach Mandel, Zitrus und Hefeteig, beim Manzanilla gepaart mit einer leichten Salzigkeit.
Amontillado ist ein Fino-Sherry, der entweder lange genug reift oder so gespritet wird, dass die Florschicht abstirbt. Daher rührt seine Bernsteinfarbe, und die Fino-Aromatik mischt sich mit oxidativen Noten.
Oloroso wird oxidativ ausgebaut, also auf ca. 18% vol. gespritet, so dass die Florschicht abstirbt, und er vollem Sauerstoffkontakt ausgesetzt ist. Dadurch erhält er das markant-sherryesque Aroma nach Toffee, Walnüssen, Gewürzen und Leder sowie seine Kupfertönung.
Bei Pedro Ximenez oder kurz PX handelt es sich ausnahmslos um süße Sherries. Die Trauben werden getrocknet, das Wasser verdunstet, und zurück bleiben rosinierte Trauben mit konzentriertem Zucker. PX Sherries werden auf ca. 17% vol gespritet und haben eine tiefdunkle, braune Farbe und eine sirupartige Konsistenz.
Cream Sherry beinhaltet keine Sahne oder ähnliches. Er ist ein Verschnitt aus einem Oloroso mit natursüßem Sherry (aus Moscatel oder PX).
Das Solera-Verfahren
Die Besonderheit des Sherry ist das Reifen in der Solera, einem System aus mehreren Fässern. Nach der Anreicherung ruht der junge Sherry einige Monate. Danach wird er in eine Solera eingespeist. Die Solera-Fässer sind (normalerweise) in Reihen übereinander aufgestapelt und miteinander verbunden. Wird aus der untersten Reihe Sherry entnommen, so füllen sich die Fässer aus der jeweils darüber liegenden Reihe nach. Dies ermöglicht einen kontinuierlichen Verschnitt junger und gereifter Weine, und verleiht jedem Sherry einen zumindest homöopathischen Anteil alten Weines.
Die trockenen Sherries eignen sich sehr gut als Aperitif, aber alle Stile sind hervorragende Essensbegleiter, vor allem zu Käse und Desserts.
Unser Cream Sherry (Emilio Hidalgo) hatte zwar 18,5 % Alkohol, war aber leicht gekühlt (ca. 12°) sehr angenehm zu trinken. Es musste auch keine von uns am nächsten Morgen kämpfen – weder mit einer Grinsekatze noch einem ausgewachsenen Jabberwocky.