Eine Wein-Fantasy-Geschichte
Ich als Fantasy-Fan liebe es, in Weinläden an den Regalen mit deutschem Riesling entlangzustreifen. Nicht nur, weil ich diese Weine sehr schätze, sondern weil die Namen ihrer Lagen mich in eine andere, fantastische Welt entführen:

Es waren einmal ein König und eine Königin, die lebten auf Schloss Johannisberg*. Sie hatten eine wunderschöne Tochter, die Hallgartner Jungfer. Sie war so lieblich, dass ein Ungeheuer sie eines Nachts entführte und im Kirchenstück versteckt hielt. Das Königspaar versprach demjenigen die Hand ihrer Tochter, der sie aus den Klauen des Ungeheuers befreite.
Im Hattenheimer Schützenhaus hörte der Pölicher Held von der Jungfer und fasste sofort den Entschluss, sie zu retten. Der Weg zum Kirchenstück führte über Schieferterrassen und durch botrytisverseuchtes Gebiet, was kein ungefährliches Unterfangen war. Doch nichts konnte den Pölicher Helden von seinem Vorhaben abbringen. Im Sonnenschein sattelte er sein Pferd Brauneberger Juffer, steckte sich Monzinger Frühlingsplätzchen als Proviant in seine Tasche und preschte den Geisenheimer Mönchspfad entlang.
Sein Nachtlager schlug er unter dem Schutz des Erdener Treppchens auf. Wie sollte er das Ungeheuer besiegen? Während er sich über diese Lage den Kopf zerbrach, sprang ihm etwas auf seinen Herrenbuckel. Krallen bohrten sich tief in sein Hemd aus Eselshaut. Starr vor Schreck griff er nach dem Stein, der vor ihm lag. Er holte aus, dann spürte er ein feinherbes Fell über seine Unterarme streichen. Ein Lorch. Erleichtert atmete er auf. Der Pölicher Held gab ihm etwas von seinem Frühlingsplätzchen, der Lorch rollte sich neben ihm zusammen und beide schliefen ein. Im Traum knabberte der Lorch an seinem Ohr und flüsterte ihm Folgendes:
Im Ürziger Würzgarten vergraben der Stein
Welcher des Ungeheuers Hölle soll sein
Vom Schwarzen Herrgott in der Mitte der Nacht
Sei das Eis ins Feuer gebracht
Die Essenz in sich birgt großes Glück
Bringt der Jungfer das Leben zurück
Als er erwachte, war der Lorch verschwunden. Die Worte aber gingen dem Pölicher Helden nicht mehr aus dem Kopf. Ohne Zeit zu verlieren, brach er beim Hallgartner Schönhell auf.
Den ganzen Morgen ritt er und dachte nach. Dann gab er Brauneberger Juffer die Sporen. Er hatte sich entschieden. Zuerst würde er zum Ürziger Würzgarten reiten, und sich erst danach zum Kirchenstück aufmachen. Die Worte des Lorchs schienen eine wichtige Bedeutung zu haben, obwohl er sie weder verstand, noch sicher sein konnte, dass nicht alles nur ein Traum war.
Der schnellste Weg zum Würzgarten führte über die Hessische Bergstraße. Die bog er links ab, am Wachenheimer Gerümpel vorbei, wo er ob der massiven Unordnung nur den Kopf schütteln konnte. Am Goldbächel machte er Rast, um sich zu erfrischen.
Plötzlich erklangen Schreie aus dem nahegelegenen Forst. Schnell griff er zu seinem Langenstück, einer Art Schwert, und ging in die Richtung, aus der die Schreie kamen. Tief im Dickicht des Forstes sah er einen Mann am Boden liegen, der offensichtlich feststeckte. Er eilte auf den Mann zu: „Seid gegrüßt! Was ist passiert?“ „Aaahhr!“ jammerte der Mann. „Ich bin in ein Fuchsloch getreten! Mein Bein ist verstaucht. Aaahhr!“ Der Pölicher Held half ihm auf die Beine und führte ihn aus dem Forst.
„Ich heiße Pölicher Held, und mit wem habe ich das Vergnügen?“ „Mein Name tut nichts zur Sache. Hier in der Gegend bin ich als Escherndorfer Lump bekannt. Was führt Euch hierher?“
Ein paar Frühlingsplätzchen später war alles erzählt. „Soso, ein Lorch. Ja, es sind magische Tiere, und Ihr tut gut daran, den Worten Glauben zu schenken. Ich kenne nur die Legenden, die sich um dieses Ungeheuer ranken. Sie besagen, man könne es mit dem Quarzit besiegen. Die Weinhex belegte ihn mit all ihrer Zauberkraft, bevor sie selbst vom Ungeheuer gefressen wurde. Seither weiß niemand, wo der Stein abgeblieben ist. Der Orakelspruch des Lorchs deutet Euch eine neue Spur.“
Der Pölicher Held setzte den Escherndorfer Lump, der immer noch nicht richtig laufen konnte, auf Brauneberger Juffer und führte ihn ins Nahe Oppenheim. Dort brachte er ihn zur Schänke am Krötenbrunnen, wo sie sich beide noch einen Schoppen genehmigten.
Zum Abschied dankte ihm der Escherndorfer Lump und gab ihm Folgendes mit auf den Weg: „Macht Euch erst auf, den Quarzit zu finden. Dann sucht den Volkacher Ratsherrn auf. Der hat etwas, das Eurer Mission dienlich ist.“ Er wühlte in seinem Bocksbeutel und nahm etwas heraus. „Habt Dank für Eure Auskunft“ erwiderte der Pölicher Held, als der Escherndorfer Lump ihm etwas in die Hand drückte. „Was ist das?“ „Eine fruchtsüße Erfindung von mir, Kröver Nacktarsch-Lollies. Als Abwechslung zu den Frühlingsplätzchen… Möge das Zeltinger Himmelreich über Euch wachen.“
Auf seiner Route zum Ürziger Würzgarten fühlte er nach einiger Zeit eine seltsame Gegenwart, obwohl er niemanden sehen konnte. Dieses Gefühl verfolgte ihn den ganzen Tag, so dass er sich vornahm, nicht zu schlafen, als er sein Nachtlager aufschlug. Auch das Risiko, Feuer zu machen, mochte er nicht eingehen, weshalb er sich an Brauneberger Juffer schmiegte, um sich zu wärmen.
Plötzlich raschelte es. Er fuhr hoch, versuchte, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Blitzschnell huschte etwas auf ihn zu und zwei rote Augen blickten ihn auf halber Höhe an. Ihm blieb das Herz stehen. Rasch griff er sein Langenstück. „Angst?“, fragte eine feine, aber glockenklare Stimme. Die zwei Augen kamen näher und er vernahm ein Schnüffeln. „Wer seid Ihr, was wollt Ihr?“, forderte der Pölicher Held, wobei er das Langenstück fest umklammert hielt und drohend zwischen die zwei Augen richtete.
* Erklärung der markierten Begriffe: Der Herr der Rieslinge I
Ende Teil I