Muss man Rotwein dekantieren?

Einer meiner Freunde kehrte kürzlich von einer längeren Asien-Reise zurück. Zu diesem Anlass hatte er zum Phad Thai-Essen eingeladen und bat mich, mit ihm loszuziehen, um einen passenden Wein dafür zu besorgen. Eigentlich begeistert er sich nicht fürs Kochen, weshalb ein von ihm eigens dafür importiertes Convenience-Produkt für das Phad Thai zum Einsatz kam. Ich dachte daher an Easy Drinking, des Gerichtes wegen in weiß. Da er selber lieber Rotwein trinkt, entschied er sich, beides anzubieten. Wir wählten einen Grenache aus dem Languedoc und einen Grauburgunder aus Rheinhessen.

Am Abend sitzen wir alle am Tisch und freuen uns auf das leckere Essen. Wer wünscht, bekommt Weißwein eingeschenkt, manche wählen rot. Als er den Korken aus der Rotweinflasche zieht, fällt die Bemerkung „Hast Du den nicht dekantiert? Rotwein muss man mindestens eine Stunde vorher aufmachen, damit er atmen kann!“, worauf ich einen bösen Blick seinerseits ernte. „Nicht jeden“, antworte ich kurz zu meiner Verteidigung, möchte das Thema aber nicht vertiefen, das zudem schnell vergessen ist.

Kann Rotwein wirklich atmen?

Natürlich atmet Wein nicht im eigentlichen Sinne, aber er reagiert mit Sauerstoff. Beim Umfüllen in eine Karaffe kommt der Wein mit Sauerstoff in Berührung, wodurch sich Geruch und Geschmack des Weines verändern. Davon profitieren junge, tanninreiche Rotweine, aber auch junge, verschlossene Weiße. Durch den Sauerstoffkontakt werden die Tannine weicher, die Weine öffnen sich und zeigen ihre Komplexität. Bei älteren Weinen kann sich das ganze aber negativ auswirken und den Wein zerstören.

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Brandtmarke/pixelio.de
Soll man überhaupt dekantieren?

Streng genommen bedeutet Dekantieren, den Wein vom Depot, also von festen Ablagerungspartikeln zu trennen. Das Umfüllen eines Weines wegen des Sauerstoff-Kontakts wird richtig eigentlich als „Karaffieren“ bezeichnet, dieses Wort benutzt jedoch niemand.

Junge, tanninreiche, verschlossene Weine, egal ob rot oder weiß, gewinnen durch das Belüften an Aromen und Geschmack. Es nützt jedoch nichts, die Flasche nur zu öffnen und dann stehen zu lassen. Die Oberfläche, die durch die Öffnung mit Sauerstoff in Kontakt kommt, ist zu klein, um Auswirkungen auf den Wein zu zeigen. Deshalb gibt man solche Weine in den Dekanter. Sie öffnen sich und geben ihre Aromen preis, die Tannine werden weicher und der Wein harmonischer.

Bei alten, gereiften Weinen ist Vorsicht geboten. Diese Weine sind sehr empfindlich, und die Oxidation zerstört die filigranen Aromen dieser Tropfen innerhalb von Minuten. Gereifte Weine entfalten sich rasch im Glas und sollten nicht in eine Karaffe gegossen werden.

Während des Reifeprozesses entwickelt sich ein Sediment aus Farbstoffen und Tanninen, das sich am Flaschenboden absetzt. Damit dieses nicht ins Glas gelangt, dekaniert man den Wein. Diese Prozedur wirkt in Restaurants ziemlich zeremoniell: Der Kellner hält die Flasche über eine Kerze, um das Depot sichtbar zu machen, und gießt den Wein vorsichtig um. Mittlerweile gibt es auch Dekantiersiebe aus Edelstahl, die die Partikel ausfiltern. Aber für zu Hause reicht es eigentlich, mit der Flasche behutsam umzugehen, um das Depot nicht aufzuwirbeln, und dann den Wein vorsichtig ins Glas zu gießen.

Welche Weine brauchen Luft?

Normale Alltagsweine (Preissegment bis ca. 15€) kommen trinkreif in den Handel und können direkt genossen werden. Große Gläser sind zum „Atmen“ für kräftigere, komplexere Exemplare vollkommen ausreichend. Falls man die Karaffe als Eyecatcher wünscht, können diese Weine bedenkenlos umgefüllt werden, sie verbessern sich davon aber nicht.

Hochwertige, langlebige Weine wie z.B. namhafte Bordeaux, Barolo, Weißweine aus dem Burgund oder Große Gewächse sind zur Reifung vorgesehen. Je nach Qualität und Jahrgang sollte man diese erst sieben bis zehn Jahre nach ihrer Abfüllung öffnen. Die edelsten dieser Weine haben sogar noch längeres Lagerpotenzial. Öffnet man sie vorher, sind sie zum Genuss noch zu jung, weil noch nicht reif. In diesem Fall profitieren sie von der Karaffe. Trotzdem sollte man die Geduld aufbringen, so hochwertige Weine richtig reifen zu lassen. Sie belohnen einen dafür mit wesentlich mehr Spaß im Glas!

2 Kommentare zu „Muss man Rotwein dekantieren?

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  1. Ich karaffiere Weine selten von Haus aus. Eigentlich immer nur dann, wenn ich weiß, daß der Wein sehr viel Zeit an der Luft braucht und frisch geöffnet noch gar keinen Spaß macht. Manche Barolos sind z.B. unkaraffiert sehr angriffslustig am Gaumen.
    Aber in der Regel macht es mir Freude, die Entwicklung des Weins über die ein, zwei, drei Stunden, die man für die Flasche braucht zu verfolgen. Deshalb verwende ich meist ein Gabriel-Glas für fast alle Weine, weil man da mit sehr wenig Menge im Glas schon eine recht große Oberfläche hinbekommt. Und mit ein bißchen Schwenken macht man dann den Rest.
    Oder einfach mal ausprobieren: Die Hälfte der Flasche karaffieren und den Rest unkaraffiert probieren. Und dann bewerten, ob und wenn ja, welcher Unterschied sich einstellt.

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